Warum hört der Sneaker-Hype nicht auf, Till Jagla?
Vier Lagerräume voller Turnschuhe – Verzeihung, Sneaker. Tausende Farben, Modelle, Größen. Dazwischen Unikate, die mehrere tausend Euro wert sind. Verteilt über geheimen Orte in ganz Deutschland. Das ist Till Jaglas persönliche Sneaker-Sammlung. Und nur der Anfang.
Denn kaum einer kennt das Geschäft und den Hype um Air Jordans, Sambas, Yeezys & Co. so gut wie Till, der nach Jahrzehnten bei den größten Marken der Welt nun sein eigenes Sneaker-Label aufgemacht hat. „Ich liebe Schuhe. Ich liebe den Kreationsprozess, er gibt mir Energie. Das ist mein Lebenselixier.“
Jetzt war Till, den die SZ unlängst zum „Sneaker-Gott“ gekürt hat, bei Wunderbar Together zu Gast. Und hat Olli und Felix nicht nur aus seiner bewegten Zeit bei Adidas und von seiner Beinahe-Fußball-Karriere in den USA erzählt, sondern auch erklärt, warum in New York und anderswo regelmäßig Menschen nächtelang um Häuserblöcke herum anstehen, nur um ein neues Schuhmodell zu kaufen. (Spoiler alert: es hat mit Geld zu tun.)
Till kommt als Jugendlicher zum ersten Mal in die Staaten, um sein „grottenschlechtes Englisch“ mit einem Sprachkurs aufzubessern. Das Ziel vergisst er schnell und spielt lieber Fußball, dann zieht es ihn nach Long Island, um bei einem Verwandten in dessen Baufirma zu arbeiten. Besonders die Lebenseinstellung der Amerikaner ist ihm bis heute ein Vorbild: „Ich bin beeindruckt von der Offenheit, vom visionären Verständnis. Amerikaner versuchen erst einmal, hundert Gründe zu finden, warum etwas funktionieren wird – und nicht, warum es scheitern könnte.“ Anders als in Deutschland würde man es Luftschlössern abnehmen, dass sie tatsächlich fliegen.
Till heuert schließlich bei New Balance in Boston an, zunächst im Marketing, später im Vertrieb, und verliebt sich Hals über Kopf in die Industrie, deren Produkte er schon damals begeistert sammelt. 2010, sieben Jahre später, zieht es ihn zurück nach Deutschland: ins fränkische Herzogenaurach, zu Adidas. Dort vermarktet er die "Originals" und zeichnet für mehrere hundert Kollaborationen verantwortlich. Auch die berühmt-berüchtigte Zusammenarbeit mit Kanye West begleitet er hautnah; ein gigantischer wirtschaftlicher Erfolg, dank einer kontroversen Figur, von der sich der Konzern im Jahr 2022 nach einer Reihe von Skandalen trennt. „Kanye ist sehr impulsiv, in alle Richtungen“, sagt Till über die Zusammenarbeit, in deren Zuge er "Ye" auch persönlich trifft. Seine Prognose: „Große Corporations werden sich in Zukunft nicht mehr so abhängig machen von einer Person.“
Vor zwei Jahren zieht er den Schlussstrich und gründet "Flowers for Society" - sein eigenes Sneaker-Label, mit dem er vieles anders machen will als die großen Konkurrenten. Er produziert ausschließlich vegan, wählt seine Produktionspartner sorgfältig aus, produziert nur so viele Schuhe, wie auch tatsächlich bestellt werden, und lädt die Käufer ein, Teil einer digitalen Welt zu werden und selbst mit den Sneakern zu handeln. „Wenn man das am Fuß tragen will, für das man einsteht, dann sind wir eine gute Antwort.“
Heute arbeiten 17 Leute für ihn und er verbringt mehr Zeit vor Ort in Hamburg als im Flieger, aber: „Ich schlafe seit zwei Jahren nicht eine Nacht durch.“ Unternehmerische Euphorie und die Angst vor der Insolvenz lägen nah beieinander. „Es war die richtige Entscheidung. Aber mein Leben war vorher einfacher.“
Warum die Sneaker-Industrie an Romantik verloren hat, welchen unternehmerischen Footprint er hinterlassen will und warum der Hype um Turnschuhe niemals aufhören wird – das alles erzählt uns Till Jagla in der 89. Folge von Wunderbar Together.